Stuttgart (pm). Mit einer Festveranstaltung im Stuttgarter Telekom Tagungshotel feiert der Landesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte Baden-Württemberg am 14. Oktober 2006 sein 40jähriges Bestehen. Eltern körper- und mehrfachbehinderter Kinder machen damals wie heute Druck und kämpfen für die Teilhabe behinderter Menschen in der Gesellschaft.
Behinderte Kinder waren in den sechziger Jahren nicht im öffentlichen Bewusstsein. Aus Angst wurden vielerorts behinderte Kinder versteckt. Wenn die Eltern bei der Pflege ausfielen, war die Unterbringung behinderter Kinder in Altenpflegeheimen keine Seltenheit. Körper- und mehrfachbehinderte Kinder waren vom Schulbesuch ausgeschlossen. Es fehlte an gesetzlichen Grundlagen, Therapie- und Bildungsangebote. Damals gründeten Eltern spastisch gelähmter Kinder überall Ortsvereine. Bei einer Tagung am 15. und 16. Oktober 1966 schlossen sich die Eltern bei einer Tagung im Kurhaus in Friedenweiler (Schwarzwald) zu einem Landesverband zusammen. Von Anfang an mit dabei waren Eltern aus Freiburg, Heilbronn, Karlsruhe, Ludwigsburg, Mannheim und Stuttgart. Gemeinsam wollten sie künftig die Interessen von Familien mit körper- und mehrfachbehinderten Kindern vertreten.
Die erste Großaktion des neuen Landesverbandes war eine freiwillige Erfassung aller körperbehinderten Kinder im Land. 40.000 Fragebögen wurden verteilt. Schon nach kurzer Zeit kamen 3.000 Fragebögen ausgefüllt zurück. Das freiwillige Engagement der Eltern zeigte Wirkung. Die Antworten wurden zur Grundlage einer gezielten Planung zugunsten der Eingliederung und Rehabilitation dieser Kinder. Die Eltern wurden in politische Entscheidungsprozesse einbezogen. Die Schulpflicht für alle Kinder wurde eingeführt. Im Laufe der Zeit entstanden Einrichtungen und Dienste für körper- und mehrfachbehinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
Obwohl in den vergangenen Jahrzehnten Vieles erreicht wurde, stehen Familien mit körper- und mehrfachbehinderten Kindern auch heute vor großen Problemen. Die Eltern beklagen eine zunehmende Kälte der Behörden. „Wir fürchten, dass körper- und mehrfachbehinderte Menschen zum Kassenobjekt degradiert werden„, erklärt Landesvorsitzender Hans Ulrich Karg. Die Liste ist lang: „Dringend benötigte Therapien und Hilfsmittel werden verweigert. Das hart erkämpfte Bildungsrecht für schwerstbehinderte Kinder wird aus Kostengründen in Frage gestellt. Für Schulabgänger mit hohem Pflegebedarf bleibt der Arbeitsmarkt trotz guten Schulabschlusses verschlossen. Und wer trotz hohem Unterstützungsbedarf ganz normal in einer Gemeinde leben will, wird auf die kostengünstigere Unterbringung im Pflegeheim verwiesen.“
Hartnäckig kämpft der Verband auch für eine umfassende Barrierefreiheit, damit auch Rollstuhlfahrer selbständig und ohne fremde Hilfe sich im Alltag bewegen können. Ein Stadtbummel wird durch fehlende Rampen, unebene Wege oder zu schmale Türen schnell unmöglich gemacht. Um positive Beispiele vorstellen, hat der Verband deshalb bereits zweimal einen landesweiten Wettbewerb ausgelobt. Doch in seinem Kampf musste der Verband immer wieder auch Dämpfer einstecken. Im Frühjahr 2006 gab das Bundesverwaltungsgericht der Bahn Recht, dass kleinere Bahnhöfe nicht barrierefrei umgebaut werden müssen. Ausgangslage war die Situation am Bahnhof in Oberkochen (Ostalbkreis), wo durch Umbaumaßnahmen der stufenlose Zugang zum Bahnsteig ersatzlos wegfiel.
„40 Jahre und kein bisschen leise.“ Am Wochenende wird mit Gästen aus dem ganzen Bundesgebiet gefeiert. Neben Grußworten von Staatssekretär Dieter Hillebrand, Beauftragter der Landesregierung für die Belange behinderter Menschen, und des Bundesvorsitzenden Aribert Reimann aus Tarp zeigen körper- und mehrfachbehinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus Freiburg, Lörrach und Mössingen ihre künstlerischen Talente, denn: „Kunst kennt keine Behinderung.“ |