Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung Baden-Württemberg e.V.

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"Essen ist mehr als nur Nahrungsaufnahme"

   20. September 2006
Experten warnen vor Gefahr der Unterernährung bei Schwerstbehinderten
Stuttgart. Die Ernährung von Menschen mit schweren und schwersten Behinderungen stand am Dienstag im Mittelpunkt einer gemeinsamen Fachtagung des Landesverbandes für Körper- und Mehrfachbehinderte Baden-Württemberg und der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Hohenheim. Rund 170 Eltern und Fachkräfte aus der Behindertenhilfe aus Baden-Württemberg suchten Antworten auf drängende Fragen.

Essen und Trinken ist für jeden Menschen sowohl etwas Lebensnotwendiges als auch etwas Alltägliches. Essen und Trinken wird in unserer Gesellschaft auch mit Lust und Genuss verbunden. Entsprechend hilflos reagieren Mütter und Väter, wenn ihr Kind aufgrund der Behinderung Probleme damit hat. Wie erhält das Kind ausreichend Nahrung und Flüssigkeit, um nicht zu verhungern und zu vertrocknen? Erstmals befasste sich eine Fachtagung in Baden-Württemberg mit diesem Thema.

Die Einführungsreferate widmeten sich den allgemeinen Bedingungen der Ernährung von Menschen mit schwersten Behinderungen sowie den Grundlagen der gesunden Ernährung („Essen mit Köpfchen“). Dr. Diesener, leitender Intensivmediziner im Hegau-Jugendwerk Gailingen, sprach über Schluckstörungen bei Kindern und Erwachsenen. Im Anschluss an eine Erörterung von Risiken einer Schluckstörung wie beispielsweise dem "heimlichen Verschlucken" (Einatmen von Nahrung in die Atemwege) stellte Dr. Diesener ein Konzept zur Schluckdiagnostik (z.B. mittels transnasaler flexibler Endoskopie) und einen Leitfaden für ein Dysphagie-Management vor. Anliegen des Dysphagie-Managements sei es, den betroffenen Menschen mit Schluckstörung eine größtmögliche Lebensqualität (hier in Form einer oralen Nahrungsaufnahme) mit einem Höchstmaß an körperlicher Unversehrtheit zu ermöglichen. Orale Nahrungsaufnahme sei aber nicht generell Lebensqualität, betonte Diesener. In bestimmten Fällen sollte auch die Indikation zur Sondenernährung erwogen werden.

Reichlich Argumente für eine Sondenernährung lieferte Dr. Friedemann Lindmayer, Kinderarzt am Rehabilitationszentrum Südwest für Behinderte in Karlsruhe. Für viele schwerstbehinderte Kinder sei die Nahrungsaufnahme von wesentlichen positiven Aspekten der Ernährung wie Lebensqualität und Lebensfreude abgekoppelt, führte Lindmayer in seinem Vortrag "Ethische Aspekte der Ernährung über ein Gastrostoma" aus. Schwerstbehinderte Kinder oral zu "füttern", auch gegen deren eindeutige Abwehr und das oft über viele Stunden am Tage, nur mit dem Ziel, sie "normal" über den Mund zu ernähren, sei alles andere als angemessen. Dr. Lindmayer plädierte dafür, in diesen Fällen – nach individueller Abwägung – die "Anlage eines Gastrostomas" anzudenken. Durch diese Maßnahme könne es gelingen, den schwerstbehinderten Menschen "das Essen als Teil von Lebensqualität" zurückzugeben. Die Experten warnen vor der Gefahr der Unterernährung bei Schwerstbehinderten und rufen dazu auf, mehr auf die ausreichende und richtige Ernährung von Menschen mit schweren und schwersten Behinderungen zu achten.

Info:

Im Landesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte sind 30 regionale Selbsthilfeorganisationen Mitglied, die rund 4.500 Familien mit körper- und mehrfachbehinderten Kindern vertreten. In ambulanten und stationären Dienste und Einrichtungen werden rund 3.000 behinderte Menschen betreut und gefördert.


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